Gratwanderung

Bildschirmfoto 2015-07-01 um 20.51.54Jochen Hemmleb, einer der klügsten Autoren im alpinen Sektor, hat ein Buch über einen befreundeten Bergsteiger geschrieben, der 2012 von einer Reise zu einem 8000er nicht mehr zurück kam. Gerfried Göschl wollte am Hidden Peak eine Winterüberschreitung wagen. Gemeinsam mit seinen Seilgefährten Cedric Hählen, einem Schweizer, und Nisar Hussain aus Pakistan blieb er verschollen. Hemmleb ist nicht an einem Heldenepos gelegen, er analysiert, wie es dazu kommen konnte, dabei interessieren ihn alpine Gefahren weniger als innere Beweggründe. Da der Band aber auch ein Erinnerungsbuch für die beiden Kinder des toten Freundes werden sollte, bewegt er sich im Schreiben auf einem schmalen Grat, um im Bild zu bleiben. Göschl wuchs in einer Bergsteigerfamilie auf, sein Vater und seine Brüder gingen ebenfalls auf Expeditionen. In diesem Ambiente bewegen sich die ersten Kapitel, für unbeteiligte Leser nur mäßig interessant. Auch die Fotos der frühen Reisen zu hohen Bergen haben hauptsächlich dokumentarischen Charakter. Hemmleb unterbricht die Chronologie mit einem, in drei Kapitel aufgeteiltes, langen Gespräch mit Heike Göschl-Gründwald, mit der Witwe, die das Buch mitträgt, so wie sie wohl das „Leben mit dem Extrembergsteiger“ getragen hat, so der Titel des Interviews. Freunde und Seilgefährten kommen zu Wort, und man erfährt da viel über Motivation. Jeder Bergsteiger, so einer, „will irgendwie etwas Aufmerksamkeit auf sich lenken und sagen: “Schaut mal, was ich gemacht habe“.“ Zumal beim Höhenbergsteigen, das einen an Orte führe, die nur wenige erreichen. „Man hofft dann doch für sich, dass man etwas Besonderes ist.“ Den 1972 geborenen Göschl brachte sein Können, sein Ehrgeiz, sein Antrieb bis auf den Everest, er bestieg sechs weitere Achttausender ohne Sauerstoffgerät und er fand eine Neuroute am Nanga Parbat im Alpinstil. Letzteres zeigt bereits die Crux, die Göschl möglicherweise zum Verhängnis wurde: nur wenig Menschen können sich etwas darunter vorstellen, was eine „Neuroute im Alpinstil“ ist. Die offensichtlichen Ziele – alle 8000er, dann alle 8000er ohne Flaschensauerstoff – sind längst erreicht. Was also kann noch medienwirksam sein? Denn Göschl, und darum dreht sich Hemmlebs Buch im Kern, hatte einen großen Schritt getan: lebte er zuvor für seine Leidenschaft, das Expeditionsbersteigen, wechselte er dann ins Lager der Profibergsteiger, kündigte seinen Job als Lehrer, und musste fortan vom Bergsteigen leben. Im Profialpinismus, so Hemmleb, stellten die Gesetze des Marktes „bisweilen ähnlich große Bedrohungen dar wie Steinschlag, Lawinen und Stürme.“ Sein Vorhaben, einen Achttausender im Winter nicht nur zu besteigen, sondern eine Überschreitung anzugehen, sei vielleicht ein „alpiner Quantensprung“, so zitiert der Autor Göschl. Auch dies jedoch ein Vorhaben, unter dem sich Leser außerhalb der alpinen Fachpresse kaum etwas vorstellen können. Der Salzburger Fernsehsender Servus TV hatte eine Dokumentation geplant – auch das dürfte den Druck erhöht haben. Stellt sich also die Frage, ob der Bergsteiger leichteren Herzens hätte umdrehen können, wenn nicht Berufliches daran gehangen hätte? „Eindeutige Antworten behält der Hidden Peak bis heute für sich“, schreibt Hemmleb. Abgesehen von den üblichen Längen in Bergsteigerliteratur – Aufstiegsbeschreibungen mit Nordsattel, vorgeschobenes Basislager, Nebel, Windstille, das untere Lager 2, Richtung Lager 3, Schutt, Schrofen… – ist das Buch mehr als eine Erinnerung an Gerfried Göschl und sein tragisches Schicksal. Es leistet einen wichtigen Beitrag zur Diskussion darüber, wohin das Profibergsteigen führen kann. – „Gerfried Göschl. Spuren für die Ewigkeit“ von Jochen Hemmleb. Egoth Verlag. Wien 2014. 288 Seiten. Zahlrieche Fotos. Gebunden, 24,90 €

 

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