Alpen-Schwadroneur

Bildschirmfoto 2015-06-25 um 20.35.15Es ist eine schöne Geschichte: Da lässt einer die großen Städte hinter sich, baut sich ein Haus in den Bergen, zusammen mit seiner Frau. Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie da glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage. Thor Kunkel hat sich diesen Jugendtraum erfüllt. Nur: Es ist ein Kotzbrocken-Buch geworden. Kunkel schüttet Verachtung, geradezu Hass aus über diejenigen, die anders leben als er. Es beginnt mit einer Abrechnung seines alten Lebens. Kunkel arbeitete in der Werbebranche und als Regisseur. Sein Nazi-Porno-Roman „Endstufe“ wurde 2004 furios verrissen. Nun also hat er sich von dieser Welt verabschiedet. Vor allem aus der Welt der Smartphones, der „Denkprothese“ (seines hat er unter Kiesel im Bach vergraben), er selbst sei nie „ein Adept einer Welt am Draht“ gewesen. Seine Häme ist grenzenlos, einen klein gewachsenen Kollegen nennt er Vorzwerg und Hobbitdarsteller. Die nicht wie er in die Berge umzogen, suchen „das Glück ihres Daseins auf den großstädtischen Einkaufsmeilen“, und die Menschen in der U-Bahn „waren Lichtjahre von ihrem eigenen Willen entfernt.“ Kunkel hat ja nun: „Alpen statt Apps“. Erstmal baut er ein Haus. Seitenlang wird das Bauvorhaben ausgebreitet: Spät im November tauchten die Dachdecker auf. Wie jeder Bauherr denkt auch Kunkel, das interessiere andere. Schließlich steht das Haus, und der erste Blick aus dem Fenster „sagte uns, hier oben war die Welt noch nicht in die Hände des Menschen gefallen“. Sieht man von dem Aussteiger-Ehepaar ab, dass hier gerade ein Haus auf eine Almwisse gewummt hat. Alles Elend des modernen Lebens komme nur davon, wie Kunkel weiß: „Die Leute haben keine Lust mehr, um etwas zu kämpfen.“ Man müsse den Segen der Anstrengung erfahren, aber das finde nur der raus, der geht. In seiner neuen, calvinistischen Heimat fühlt er sich also pudelwohl. Und lobt gleich noch die Politik der Schweizer über den grünen Klee, die seien noch plebiszitär demokratisch, föderalistisch liberal und würden es schaffen, sich gegen die realitätsfernen Träume der Politiker durchzusetzen. So lobt er das Minarett-Verbot. Vielleicht sollte Kunkel mal in Dresden lesen? Und weil es ihm gerade in den Kram passt, behauptet er, das habe schon Leslie Stephen erkannt, der die Schweiz den „Tummelplatz Europas“ genannt habe. Aber Stephen bezeichnete nicht das Land als „Playground of Europe“, sondern die Alpen aus der Sicht des Bergsteigers. Aber Kunkel schreibt lieber, die Schweiz habe es nicht nötig, sich als touristischer Funpark zu verkaufen. Ein Urteil wider besseren Wissens; schließlich kennt der Autor Zermatt. Berge seien ein „Inbild der Güte, ein wahres Herzensbild“, schwadroniert er weiter und verkennt oder will es nicht sehen, dass Berge für Menschen fast ausschließlich Inbegriff des Schreckens von Hungersnot und Müh und Plag waren. Natürlich verachtet der Frankfurter Autor moderne Bergsportler, „schlimm aufgemachtes Publikum“, wenn er wandert, dann am liebsten einsam und gerne auch nackt. Mit Bergführern geht er nur, wenn sie ihm „freundlich gesinnt“ sind, sprich: Er nichts dafür zahlen muss. Und so segelt er umflort in seine Landlust-Seligkeit, ein Eskapist, der von Alpenrosen schwadroniert. Er versteigt sich zu Blümchen-Poesie im Geister einer Allert-Wybranietz: „Der Mensch hat Flügel und Wurzeln, die er am besten von Zeit zu Zeit kombiniert. Selbst die Pusteblume weiß darüber Bescheid, sonst wäre der gelbe Löwenzahn nicht überall auf den Matten zu finden.“ Über seine neue Heimat postuliert er: „Es ist de facto eine andere Welt.“ Nein, es ist die eine Welt. Nur hat sich Kunkel entschlossen, weit weg in den Bergen, wo man „verwirrten Seelen erst gar nicht begegnet“, nur noch einen winzigen Ausschnitt davon wahrzunehmen. Einen kritischen Blick hat er nur auf die moderne Vermarktung. Aus den vielen Freien – damit meint Kunkel die hart arbeitende Bergbevölkerung – wurden „Tourismuslakaien“. Vielleicht hätte er mal einen von diesen fragen sollen, ob sie sich zurücksehen nach dem Leben ohne Geld, ohne Vitamine im Winter, ohne Zukunftschancen, Bildung, ohne Rechte für Frauen und Kinder. Er aber steht lieber „wie trunken vor dem leuchtenden Blau des Himmels“. Immerhin erkennt er, das Gute an der heutigen Zeit sei, dass man sich die Wirklichkeiten des Lebens aussuchen könne. Er hat seinen Ort gefunden, wo er hingehöre, wo er auch noch mit „70, 80 sein will“. Glückwunsch. Es liege, so Thor Kunkel, „im Ermessen jedes Einzelnen, wann er „seine Entwürdigung als denkenes Wesen nicht länger hinnehmen will.“ Ach Kunkel. – „Wanderful. Mein neues Leben in den Bergen“ von Thor Kunkel. Eichborn Verlag. Köln 2014. 236 Seiten. Einige Fotos. Gebunden, 19,99€

2 Kommentare zu „Alpen-Schwadroneur“

  1. Danke, Frau Schäfer, alles was Ihnen missfällt, hat mich dazu angeregt mir das Buch zu bestellen. Und es ist großartig, (habe das Wochenende durchgelesen) weil es realistisch beschreibt, wie man zu einem Haus in den Bergen kommt. Es ist ein Richtungsweiser für Leute wie uns! Mit Ihrer negativen Einstellung bleiben Sie besser in Berlin!

  2. Kann den Eindruck von B. Schaefer (Autorin des Non-Sellers „Der Mädchen, das gehen wollte“) nicht nachvollziehen. Kunkel schreibt klar und ohne schwülstige Formulierungen, vielleicht ist es das, was Schaefer stört. Schaefer vergleicht in ihrem eigenen Buch, welches ein ähnliches Thema abhandelt, „Trauerarbeit sei wie Rosenkranzbeten“. Wer solche antiquierten Vergleiche bemüht, der sollte vorsichtig sein. Hinzu kommt der unterschwellige Neid auf ein heterosexuelles Aussteigerpaar, dem es aus Schaefers lesbischer Sicht zu gut geht. Wer so intolerant und neidisch denkt, und das auch noch veröffentlicht, der gehört in Wahrheit nach Dresden.

Hinterlasse einen Kommentar